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Gast-Kommentar
Kanton SG
21.02.2024
21.02.2024 22:11 Uhr

Franziska Cavelti Häller kommentiert die Frühjahrssession

Bild: wil24.ch
Vom 19. bis 21. Februar 2024 trafen sich die Mitglieder des St.Galler Kantonsrats zur Frühjahrssession. Was beschäftigte Parlament und Regierung und was wurde an diesen drei Tagen entschieden? Kantonsrätin Franziska Cavelti Häller, Jonschwil, erläuterte tagesaktuell das Wichtigste aus ihrer Sicht.

21. Februar 2024 - dritter Sessionstag:
Pendlerabzug erhitzt die Gemüter oder: «ÖV vs. Auto»

Der dritte Sessionstag hatte es in sich: Vier Nachträge zum Polizeigesetz, Erhöhung des Fahrkostenabzugs, Einführungsgesetz zum Bundesgesetz über die Krankenversicherung, kommunale statt kantonale Sondernutzungspläne für Windkraftanlagen, um nur die wichtigsten zu nennen. Das Parlament zeigte sich diskussionsfreudig. Auch heute konnte das vorgesehene Themenfeld nicht behandelt werden. Aus grünliberaler Sicht möchte ich zwei Geschäfte besonders hervorheben: den Fahrkostenabzug und die Windenergie.

Der Fahrkostenabzug erhitzt die Gemüter. Im Jahr 2015 hat die St. Galler Bevölkerung entschieden, dass der Fahrkostenabzug sowohl für Pendlerinnen und Pendler mit dem öffentlichen Verkehr als auch mit dem Auto auf die Kosten eines GA zweiter Klasse beschränkt wird. Damit sollen alle Pendlerinnen und Pendler unabhängig vom gewählten Verkehrsmittel gleich behandelt werden. Dies ist auch aus Sicht der Grünliberalen sinnvoll. Mit dem XV. Nachtrag zum Steuergesetz wurde zudem der Pendlerabzug um 600 Franken erhöht. Damit wurde auch den ländlichen Regionen Rechnung getragen, die über ein weniger gut ausgebautes ÖV-Netz verfügen und mit dieser Erhöhung den Park+Ride-Service nutzen können. So gut, so logisch, möchte man meinen. Nicht aber für die bürgerliche Mehrheit im Parlament!

Zur Diskussion standen Erhöhungen des Fahrkostenabzugs auf CHF 6'000 (Antrag Regierung), CHF 7'000 (Antrag Die Mitte), CHF 8'000 (Antrag vorberatende Kommission) und die gänzliche Streichung jeglicher Begrenzung des Fahrkostenabzugs (Antrag SVP). Man kam sich vor wie auf einem Basar. Die Argumente schwankten zwischen Ökologie und vermeintlicher Standortattraktivität. Es wurde mit Pendlerkilometern gerechnet und versucht, die Landbevölkerung gegen die Stadtbevölkerung auszuspielen - über weite Strecken war es schwer, der Debatte zuzuhören. Um es kurz zu machen - die bürgerliche Ratsmehrheit erhöht den Pendlerabzug von einem GA zweiter Klasse auf neu CHF 8'000 und schafft damit einen steuerlichen Anreiz, das Auto dem Zug vorzuziehen. Pendlerinnen und Pendler mit einem Generalabonnement bleiben auf den maximalen Fahrkostenabzug von CHF 4 460 sitzen. Die gleichen Parteien bekennen sich in ihren Programmen zur Reduktion des CO2-Ausstosses und zu den Pariser Klimazielen. Wie ist das zu verstehen?

Schon wieder gegen die Windenergie, schon wieder eine Motion der SVP! Die aktuellste Motion der SVP verlangte, dass bei Windparks nicht der Kanton, sondern die Gemeinde den Sondernutzungsplan erlässt. Damit soll den Standortgemeinden quasi ein Vetorecht bei Windkraftanlagen eingeräumt werden. Im Wesentlichen will die SVP mit dieser Motion die Windkraft im Kanton verunmöglichen, um dann bei einer Versorgungslücke den Bau neuer Kernkraft zu fordern.

Die Energiewende und die Versorgungssicherheit entsprechen aber dem Volkswillen und sind von nationaler Bedeutung. Zum angestrebten Strommix gehört neben der Wasserkraft, der Solarenergie auch die Windenergie. Wichtig ist aber - und das wurde von allen Seiten betont - dass die betroffene Bevölkerung und die Behörden vor Ort in einem echten Mitwirkungsverfahren auf dem Weg zur Realisierung von Windkraftanlagen mitgenommen werden. Regierungsrätin Susanne Hartmann betonte, dass eine zuverlässige, unabhängige und bezahlbare Stromversorgung im Interesse der gesamten Bevölkerung und der Wirtschaft liege und deshalb eine gemeinsame Aufgabe sei. Der Votant der Mitte-EVP-Fraktion meinte: «Blasen wir das Halali auf die Windenergie!» Die Mehrheit des Kantonsrates folgte ihm und lehnte die Motion mit 78:32 bei einer Enthaltung klar ab.

Etwas kurios ist die Behandlung der Motion zur «Aufhebung Kantonsratsbeschluss Brücke Luteren Ennetbühl». Im April 2021 beschloss der Kantonsrat den Abbruch und Neubau der Brücke, da eine Sanierung nicht mehr möglich, resp. viel zu teuer wäre. Dieser Entscheid war einigen Sachverständigen und hartnäckigen Bürgern der Region suspekt. Ein externes Gutachten der ETH-Lausanne zeigt nun, dass die bestehende Brücke mit modernen Erhaltungsmassnahmen für eine nächste Nutzungsdauer instandgesetzt werden könnte. Die Baukosten dafür sind gemäss Gutachten bedeutend tiefer als bei der beschlossenen Abbruch-und Neubauvariante. Man darf gescheiter werden! Folgerichtig hat der Kantonsrat einstimmig der Motion zugestimmt und damit den ursprünglichen Beschluss aufgehoben.

Am Nachmittag werden Interpellationen im Bereich des Gesundheitsdepartements behandelt. Mit einer Interpellation kann ein Parlamentarier oder eine Parlamentarierin den Regierungsrat um Auskunft und Stellungnahme zu einem bestimmten Thema bitten. Die schriftliche Antwort kann im Rat mit einem Votum von maximal drei Minuten gewürdigt werden. Erfahrungsgemäss ist dies für die anderen Kantonsrätinnen und Kantonsräte nicht sehr attraktiv. Entsprechend leerte sich der Kantonsratssaal; Kaffee und Kuchen im Ratsstübli winkten. Die wenigen verbliebenen Kantonsräte hörten den Voten mehr oder weniger interessiert zu – ein trauriges Bild.

Um 17:00 Uhr schliesst Andrea Schöb die Frühjahrssession und wünscht allen einen erfolgreichen Wahlsonntag.

20. Februar 2024: Der zweite Sessionstag ist, normalerweise, Tag der Finanzen

Pünktlich um halb neun eröffnet die Ratspräsidentin Andrea Schöb den zweiten Sessionstag. Dieser ist zu einem grossen Teil von Finanzthemen dominiert.
Das Finanzdepartement beantragt einen Nachtragskredit von CHF 30 Mio., um eine integrierte, d.h. alle Steuerarten umfassende Software programmieren zu lassen. Den hohen Investitionskosten von über CHF 70 Mio. stehen jährliche Einsparungen von CHF 10 Mio. gegenüber. Ein gutes Geschäft? Der Vertrag mit der Firma, die den Zuschlag erhält, läuft über 16 Jahre. Wenn das Projekt wie geplant umgesetzt werden kann, ist es sicher ein gutes Geschäft. Die von der Regierung gewählte One-Provider-Strategie, also ein Ansprechpartner für Programmierung, Implementierung und Wartung, ist wegen der ungeteilten Verantwortung verlockend. Ungeteilt ist aber auch die Abhängigkeit von einem Anbieter. Wir Grünliberalen standen diesem Geschäft kritisch gegenüber. Zusammen mit der Die Mitte-EVP-Fraktion haben wir uns für eine Neuausschreibung des Projekts und eine Aufteilung der Leistungen eingesetzt. Dies hätte aufgrund des reduzierten Leistungsumfangs mehreren Firmen eine Offerte ermöglicht und die Risiken besser verteilt. Aufgrund der umfassenden Ausschreibung konnte der Kanton nur zwischen zwei Anbietern wählen. Die Mehrheit des Kantonsrates sah dies aber anders und gab den Nachtragskredit frei.
Das zweite grosse Finanzgeschäft betrifft den Aufgaben- und Finanzplan und die langfristige Finanzperspektive. Die aktuellen Planwerte des Aufgaben- und Finanzplans 2025-2027 zeigen, dass sich der Kantonshaushalt nach einer Phase hoher Defizite bis 2027 in Richtung eines Ausgleichs von Aufwand und Ertrag entwickelt. Diese Entwicklung wird durch die Langfristprojektion 2027-2033 bestätigt. Grosse Unsicherheiten bestehen auf der Einnahmenseite bei der Entwicklung der Steuereinnahmen und damit der allgemeinen wirtschaftlichen Entwicklung. Ebenso unsicher sind die Mittel aus dem Finanzausgleich des Bundes und die Ausschüttungen der Nationalbank, mit denen in den nächsten Jahren nicht gerechnet werden kann. Sicher ist hingegen, dass die Ausgaben steigen werden, sei es beim Personal, bei den Staatsbeiträgen oder bei der Prämienverbilligung. Nicht enthalten in der Finanzplanung sind die Kosten für die Anpassung an den Klimawandel, obwohl wir wissen, dass dieser uns substanziell Wohlstand kosten wird; nicht enthalten sind die Auswirkungen der Pflegeinitiative und nicht enthalten sind die Gesundheitskosten für die Langzeitpflege der stetig wachsenden älteren Bevölkerung.
Für uns ist klar, dass wir wieder lernen müssen, politische Schwerpunkte und Prioritäten im Budget zu setzen und das Geld dort einzusetzen, wo die Wirkung für die Bevölkerung und die Wirtschaft am grössten ist. Das hindert das Parlament aber nicht daran, eine halbe Stunde lang über die Kürzung der Beiträge für Viehschauen um 80'000 Franken zu diskutieren. Gibt es keine grösseren Herausforderungen? Sie ahnen es, der Rat schreibt die gestrichenen Mittel wieder ins Budget. Es ist Wahlkampf und niemand will es sich mit den Bauern verderben. Ob wir im Parlament damit die richtigen Prioritäten setzen?
Immer mehr Kinder und Jugendliche sind von autistischen Störungen betroffen. Die betroffenen Familien und Schulen sind in diesen Situationen extrem gefordert. Diese Kinder haben besondere Bedürfnisse und brauchen oft ein spezielles Setting, damit Lernen für sie möglich ist. Im Kanton St. Gallen gibt es kein Angebot für betroffene Kinder, Eltern und Lehrpersonen. Eine Motion fordert nun die Schaffung eines Kompetenzzentrums für autistische Kinder, um entsprechende Unterstützung und Beratung bieten zu können. Der Regierungsrat anerkennt die Dringlichkeit des Anliegens und ist bereit, die Frage im Rahmen der Revision des Volksschulgesetzes zu regeln. Dies ist grundsätzlich positiv, bedeutet aber auch, dass die Betroffenen noch einige Jahre auf Hilfe warten müssen.
Betagten-und Pflegeheime sind insbesondere aufgrund der demografischen Entwicklung vermehrt mit komplexen Pflegefällen konfrontiert. Diese können unter dem Begriff der spezialisierten Langzeitpflege subsumiert werden, d.h. die Gerontopsychiatrie, die Pflege von schweren, komplexen Fällen sowie die palliative Pflege. Diese Bereiche stellen besondere fachliche Anforderungen. Im Bereich der spezialisierten Langzeitpflege bestehen im Kanton St.Gallen Angebots- und Finanzierungslücken. So ist die Bereitstellung und Finanzierung von spezialisierter Langzeitpflege nach geltendem Recht lediglich für spezialisierte Sterbehospiz-Einrichtungen geregelt. Mit dem vorliegenden VII. Nachtrag zum Sozialhilfegesetz soll eine Bereitstellungs-und Finanzierungsgrundlage für alle aufgeführten Angebote geschaffen werden. Diese Anpassungen sind weitgehend unbestritten. Ergänzt wird das Geschäft mit dem Auftrag, ein Angebot für spezialisierte Demenzbetreuung zu prüfen.
Das Departement des Innern legte in einem Bericht die Grundlagen für die künftige Familienpolitik vor. Der Bericht ist mit Spannung erwartet worden. Die Familie als kleinste Einheit der Gesellschaft ist von zentraler Bedeutung für die soziale Stabilität, für das Wohlergehen und die Sozialisation unserer Kinder, für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, für die demografische Entwicklung und für die Armutsprävention. Umso grösser war die Enttäuschung bei den meisten Parteien, dass sich der Bericht fast ausschliesslich auf Familien in Armutslagen konzentrierte und die Familien der Mittelschicht aussen vor liess. Deshalb wurden Ergänzungsaufträge der Die Mitte-EVP-Fraktion angenommen, welche die Verbesserung der Rahmenbedingungen auch für Mittelstandsfamilien zum Ziel hatten. Klar abgelehnt wurden hingegen die Anträge der SP und der Grünen zur Einführung von Ergänzungsleistungen für armutsbetroffene Familien.
Software-Beschaffung – Finanzplanung – Autismusstörung – Sozialhilfegesetz – Familienpolitik – wir sind als Parlamentarierinnen und Parlamentarier gefordert. Nach acht Stunden intensiver Debatte schloss Andrea Schöb den zweiten Sessionstag. Einmal mehr konnte das vorgesehene Tagespensum nicht abgearbeitet werden.

Start zur letzten Session vor den Wahlen:
Der 1. Sessionstag - 19. Februar 2024

Wie immer treffen sich die Parteien am Montagmorgen, um letzte Absprachen und Vorbereitungen zu treffen. Der Wahlkampf liegt schon in der Luft. Schon beim gemeinsamen Mittagessen ist das zu spüren. Es wird diskutiert, wer wieder antritt, wer die Wahl wohl verpassen wird oder wer neu gewählt wird. Eine gewisse Spannung ist nicht zu übersehen.
Die Regierung legt einen Bericht über die Strategie der Aussenbeziehungen vor. Dieser beschreibt eine Vielzahl von interkantonalen, nationalen und grenzüberschreitenden Herausforderungen. Die Themen sind vielfältig: die Gestaltung der Grenzräume mit Deutschland, Oesterreich oder dem Fürstentum Liechtenstein, die Beziehungen zur Europäischen Union oder Föderalismus und Zentralismus aus Sicht der Kantone oder die Wahrnehmung der Ostschweiz in Bundesbern. Wir vermissen jedoch eine Priorisierung der kantonalen Ziele und Themen. Wir brauchen konkrete, umsetzbare Lösungen und keine beratenden Gremien, die sich ein- oder zweimal im Jahr treffen und die immer gleichen Pendenzenlisten diskutieren. Unsere Kantonsregierung könnte die Themenführerschaft in wichtigen Bereichen übernehmen. So sind wir in den letzten Jahren beispielsweise einer Lösung bei den grenzüberschreitend sehr unterschiedlichen Tarifen im öffentlichen Verkehr oder bei einer kantonsübergreifenden Spitalplanung nicht wirklich nähergekommen.
Das Strategiepapier zur Verbesserung der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen erfüllt einen Postulatsauftrag des Kantonsrates. Darin sind 85 Massnahmen zum Bürokratieabbau aufgelistet, die von der Aktualisierung der Website bis zur Schaffung neuer Formulare reichen. Sie spüren es, der Bericht ist nicht wirklich hilfreich. Dass wir die Verwaltung mit einem solchen Bericht beschäftigen, statt sie an ihren Projekten zum Abbau von bürokratischen Prozessen arbeiten lassen, ist fast schon ironisch. Die Postulanten SVP und Die Mitte – wir Grünliberalen haben das Postulat abgelehnt – müssen beurteilen, ob dieser Bericht etwas anderes als zusätzliche Arbeit gebracht hat.
Ein weiterer Schwerpunkt war der Bericht zur Bewältigung der Pandemie. Insgesamt wurde der Regierung und den Führungsorganen in den Gemeinden ein gutes Zeugnis ausgestellt. Bemängelt wurde jedoch die fehlende Konsultation. Gerade bei Grossereignissen wie der Pandemie wäre es wichtig gewesen, alle Verantwortlichen und Krisenstäbe zu befragen, was gut und was weniger gut funktioniert hat. Dies führte gar zu einem Rückweisungsantrag, welcher aber abgewiesen wurde. Abgelehnt wurden auch Anträge, das Gesetz so anzupassen, dass regional unterschiedliche Führungsstäbe möglich sind. Die Mehrheit des Rates war der Ansicht, dass der Föderalismus zwar positiv, aber für die Organisation des Bevölkerungsschutzes nicht unbedingt hilfreich sei.
Am Ende des ersten Sessionstages steht eine Standesinitiative der SP zur Diskussion. Diese lädt die Bundesversammlung ein, dahingehend tätig zu werden, dass die erbrachten Leistungen für versorgungsrelevante Spitäler sowie umfassende Bereitstellung von Personal und Infrastruktur im Durchschnitt kostendeckend vergütet werden. Es soll auch ein Mechanismus vorgesehen werden, welcher die Anpassung der Tarife an die Teuerung berücksichtigt. Da die Wirkung von Standesinitiativen im Allgemeinen und im Gesundheitswesen im Besonderen sehr umstritten ist, folgte eine intensive Diskussion. Schliesslich entscheidet sich der Rat, wenn auch knapp, die Standesinitiative zu überweisen.
Am morgigen Dienstag geht es wie immer ums Geld. Auf der Traktandenliste stehen die langfristigen Finanzperspektiven sowie die Erhöhung des Fahrkostenabzuges, welcher sicher für viel Diskussionsstoff sorgen wird.

 

Franziska Cavelti Häller, Kantonsrätin SG, GLP