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Gast-Kommentar
Kanton SG
16.09.2024
19.09.2024 07:35 Uhr

Franziska Cavelti Häller kommentiert die Herbstsession 2024

Bild: wil24.ch
Vom 16. bis 18. September trafen sich die Mitglieder des St.Galler Kantonsrats zur Herbstsession 2024. Was beschäftigte Parlament und Regierung und was wurde an diesen drei Tagen entschieden? Kantonsrätin Franziska Cavelti Häller, Jonschwil, erläutert das Wichtigste aus ihrer Sicht.

Zweiter und dritter Sessionstag – das Parlament wird seinem Namen gerecht

Anlässlich der Herbstsession zu Beginn der Legislatur findet traditionsgemäss ein Ausflug des gesamten Kantonsrates, der Regierung und der Parlamentsdienste statt. Diesmal führte der Weg nach Buchs, wo verschiedene Aktivitäten angeboten wurden: Besichtigung der Justizvollzugsanstalt Saxerriet, des Schlangenhauses Werdenberg, ein Besuch bei Schöb Holzbau in Gams, Kybun in Sennwald oder der Sortengarten Frümsen standen zur Auswahl. Diese Exkursion ist nicht nur ein «Schulausflug», sondern dient auch dem Kennenlernen von verschiedenen Arbeitswelten und dem geselligen Austausch in ungezwungener Atmosphäre, was der politischen Arbeit im Rat sicher dienlich sein kann. 

Fast der ganze Dienstagvormittag war dem Finanzausgleichsgesetz gewidmet. Der Finanzausgleich soll sicherstellen, dass auch steuerschwache Gemeinden ihre Aufgaben erfüllen können und die Steuerfüsse nicht zu weit auseinanderdriften. Der Regierungsbericht zeigt jedoch, dass diese Ziele verfehlt wurden. Statt einer Verringerung der Unterschiede ist die Disparität der Steuerfüsse von 77% (2013) auf 89% (2023) gestiegen. Eine umfassende Revision wäre nötig, doch der politische Wille fehlt. 

Im Finanzausgleichsgesetz ist ein Sonderlastenausgleich für die Stadt St. Gallen vorgesehen, da diese jährlich 12 Mio. Franken ungedeckte Zentrumslasten trägt. Diese Belastung droht die Entwicklung der Kantonshauptstadt zu bremsen, was weder im Interesse des Kantons noch der Gemeinden sein kann. Eine starke Hauptstadt mit guter Infrastruktur ist wichtig für alle. Die Stadt St. Gallen musste viel Kritik einstecken. Die (angeblich) «Links-Grüne Ausgabenpolitik» wurde gegeisselt, ein Stadt-Landgraben wurde aufgerissen. Viele VertreterInnen von Landgemeinden, die oft lautstark Solidarität einfordern, zeigten wenig Verständnis für die Besonderheiten einer Stadt mit rund 80 000 Menschen. Nur ganz knapp bewilligte der Rat den Sonderlastenausgleich.

Viel zu reden gab auch die Standesinitiative der Fraktionen SVP, Die Mitte-EVP und der FDP, welche die Pestizidkontrolle einschränken wollte. Was ist passiert? Das Parlament hat 2021 eine Mitteilungspflicht für den Handel mit und die Anwendung von Pflanzenschutzmitteln sowie den Handel von Nährstoffen beschlossen. Auslöser waren die inzwischen von der Bevölkerung abgelehnten Volksinitiativen für sauberes Trinkwasser und gesunde Nahrung (Trinkwasserinitiative) und für eine Schweiz ohne synthetische Pestizide (Pestizid-Initiative). Für die Umsetzung der Mitteilungspflicht entwickelt das Bundesamt für Landwirtschaft BLW in enger Absprache mit den künftigen Nutzerinnen und Nutzern die Webanwendung digiFLUX.

Die eingereichte Standesinitiative wollte genau diese Kontrollen unter dem populären Argument der «Bürokratievermeidung» zurückfahren. Jede Kuh ist heute besser erfasst als gefährliche Pestizide. Die Vertretung der GLP, der Grünen und der SP wollten deshalb an der geplanten Umsetzung festhalten. Der Rat sah es anders und schickt das Anliegen zur weiteren Bearbeitung nach Bern. Fortsetzung folgt …

Am Mittwochvormittag erreichte die Debattierfreudigkeit im Parlament einen neuen Höhepunkt. Eine Interpellation zum Thema «Thursanierung» erhitzte die Gemüter. Die Gefahrenkarte zeigt, dass Überschwemmungen bei einem 100-jährlichen Hochwasser im Zentrum von Wattwil zu grossen Schäden führen können. Aktuelle Meldungen aus Osteuropa und dem Wallis zeigen, dass Jahrhunderthochwasser deutlich häufiger auftreten als einmal in hundert Jahren. Ausgerechnet die Vertreter des Toggenburgs verlangten unter dem Deckmantel der «Kulturlandschaftserhaltung» eine Redimensionierung des Projekts und damit eine Schwächung des Schutzes der eigenen Bevölkerung.

Nach den Schlussabstimmungen konnte die Session bereits um 10:30 h  geschlossen werden. Im Dezember steht dann das Budget 2025 auf der Traktandenliste. Angesichts der sich eintrübenden Finanzlage wird dies viel zu diskutieren geben. 

Der 1. Sessionstag - 16. September 2024:
Die Ladenöffnungszeiten bewegen die Gemüter

Die Kantonsrätinnen und Kantonsräte wurden von einer Delegation der Gewerkschaft Syna empfangen, die gegen die Liberalisierung der Ladenöffnungszeiten protestierte, ein Geschäft, das bereits im Vorfeld der Session kontrovers diskutiert worden war.
Die Fronten waren eigentlich bereits vor der Debatte im Rat klar. SP und Grüne widersetzten sich jeglicher Liberalisierung; SVP, FDP und GLP begrüssten die Möglichkeit für Ladenbesitzer, die Öffnungszeiten bedarfsgerecht gestalten zu können. Die Mitte war gespalten.
Es standen vier Varianten zu Diskussion: 

  • Nichts tun und die Ladenöffnungszeiten bleiben bestehen wie bisher (Montag bis Freitag von 06.00 bis 19.00 Uhr, am Samstag sowie am Vortag von Karfreitag, Weihnachtstag und Neujahr von 06:00 bis 17:00 Uhr). 
  • Die vorberatende Kommission sah Öffnungszeiten von 05:00 h bis 22:00 h.
  • Die FDP schlug eine vollkommende Liberalisierung ohne Festschreibung von Öffnungszeiten vor.
  • Die Regierung möchte die Ladenöffnungszeiten von 06:00 h bis 20:00 h von Montag bis Freitag und am Samstag bis 18:00 h erweitern. 

Basis der Diskussion war die Tatsache, dass jeder Geschäftsbesitzer eigenständig seine Ladenöffnungszeiten im gesetzlich festgelegten Rahmen definieren kann. Es besteht kein Zwang, die Öffnungszeiten zu verlängern, wenn dies ökonomisch keinen Sinn macht. Zudem gilt nach wie vor das Arbeitsgesetz, d.h. die Arbeitnehmenden werden nicht grundsätzlich schlechter gestellt.
Die Regierung selbst stellt fest, dass der Kanton St. Gallen im Vergleich zu den Nachbarkantonen sehr restriktiv ist. Wer beispielsweise am Samstagabend in Rickenbach TG auf dem überfüllten Parkplatz des Einkaufszentrums steht, findet fast ausschliesslich Autos mit St. Galler Nummernschildern. Es ist deshalb falsch zu behaupten, dass längere Ladenöffnungszeiten keinem Bedürfnis entsprechen.
Die meisten Arbeitgeber setzen sich dafür ein, Arbeitszeitmodelle zu gestalten, die den vielfältigen Lebens- und Familienmodellen der Beschäftigten gerecht werden. Diese Entwicklung ist ein bedeutender Fortschritt zugunsten der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Damit einhergehend sollte auch eine Liberalisierung der Öffnungszeiten im Handel ermöglicht werden. Die derzeit restriktiven Regelungen können als unnötige Bevormundung der Arbeitnehmenden gesehen werden.
Regierungsrat Tinner bestätigt, dass der Kanton St. Gallen in dieser Frage im Vergleich zu anderen Kantonen im Rückstand ist und dass der Antrag der Regierung angesichts der zahlreichen Bedenken der Gegner einen Mittelweg darstellt. Schlussendlich wird klar auf die Vorlage eingetreten. Der Rat entschied schlussendlich zugunsten der vorberatenden Kommission, d.h. für Öffnungszeiten von 05:00 h bis 22:00 h. Das Referendum seitens der Gewerkschaften ist wahrscheinlich. 

Nach intensiven Diskussionen folgt gleich ein nächstes «heisses» Eisen. Nachdem die St. Galler Spitäler von vier Spitalverbunden zu einem Spitalverbund neu strukturiert wurden, soll der Spitalverbund in eine Aktiengesellschaft umgewandelt werden.
Als Aktiengesellschaft erhält der Spitalverbund die nötige Flexibilität, um das medizinische Angebot spezifisch auf die Bedürfnisse des Marktes, also der Patientinnen und Patienten, auszurichten. Die Gründung einer Aktiengesellschaft ermöglicht diesen unternehmerischen Spielraum. Ziel ist nicht die Gewinnerzielung, sondern die bestmögliche Gesundheitsversorgung. Dies setzen eine enge Zusammenarbeit und echte Mitbestimmung aller Akteure im Krankenhaus voraus. Fachärzte und Pflegende müssen in wichtige Entscheidungen einbezogen werden - betriebswirtschaftliches Know-how allein reicht nicht aus, es braucht auch fundierte medizinische Expertise. Dies sah auch die Mehrheit des Rates so und stimmte der Umwandlung in eine AG zu.

Der Zeitpunkt gab jedoch zu Diskussionen Anlass. Die Regierung beantragte die Bildung einer AG erst bis 2033, die Motion sah eine Umsetzung bis 2030 vor. Begründet wurde dies unter anderem damit, dass mit den Spitalschliessungen, dem Stellenabbau, den grossen baulichen Veränderungen in St. Gallen und Grabs sowie der Zusammenführung der vier Spitalverbünde viel Managementkapazität gebunden sei und die Organisation deshalb eine Atempause brauche. Eine nachvollziehbare Argumentation, die leider von der Ratsmehrheit nicht geteilt wurde.

Zu fortgeschrittener Stunde wurde die Motion überwiesen, die vorsieht, dass Steuererhöhungen künftig nur mit einer qualifizierten Mehrheit von 61 Stimmen beschlossen werden dürfen, während für Steuersenkungen eine einfache Mehrheit ausreicht. Die Fraktion der SP-Grüne-GLP lehnte diese Motion ab. Diese zeugt aus unserer Sicht von einem tiefen Misstrauen gegenüber den Mitgliedern des Kantonsrats. Sie unterstellt, dass der Rat leichtfertig Steuererhöhungen beschliessen könnte und daher eine höhere Hürde nötig sei, um dies zu verhindern. Auch aus finanzpolitischer Sicht macht diese Ungleichbehandlung von Steuersenkungen- und -erhöhungen keinen Sinn. Steuersenkungen können genauso problematisch sein und den Staat in seinen Aufgaben einschränken, wie Steuererhöhungen. Beides erfordert eine sorgfältige Einzelfallprüfung. Die Ratsmehrheit hat jedoch anders entschieden. 

Pünktlich um 18:00 h konnte die Ratspräsidentin Barbara Dürr den ersten Sitzungstag abschliessen. Am Dienstag wird der emotionale Level hoch bleiben. Es geht um den innerkantonalen Finanzausgleich und damit auch um die finanzielle Situation des Kantonshauptortes. 

Franziska Cavelti Häller, Kantonsrätin SG, GLP