17. September 2025
Vom 48-Millionen-Umbau des Textilmuseums über die Reform des Französischunterrichts bis hin zu Rechtsfragen bei Selbstbedienungsläden und WilWest: Der Kantonsrat hat in seiner Session gleich mehrere Weichenstellungen von Tragweite diskutiert – für Gesellschaft, Wirtschaft und das kulturelle Erbe.
Umbau des Textilmuseums St. Gallen – Investition in das kulturelle Erbe
Das Textilmuseum St. Gallen, schweizweit einzigartig und seit über 140 Jahren zentral für die Bewahrung der 800-jährigen Textiltradition der Ostschweiz, steht vor einer umfassenden Sanierung. Für 48 Mio. Franken sollen ein grosser neuer Ausstellungssaal, moderne Vermittlungsformate, verbesserte Depot- und Konservierungsbedingungen sowie ein barrierefreier Zugang realisiert werden. Damit will man das textile Kulturerbe langfristig sichern, die Attraktivität des Hauses steigern und die internationale Sichtbarkeit erhöhen.
Die Finanzierung soll je zur Hälfte von privaten Geldgebern und der öffentlichen Hand getragen werden. Bislang sind 15,19 Mio. Franken aus der Privatwirtschaft zugesagt; Kanton und Stadt wollen 21,75 Mio. Franken beitragen. Während die Sanierungsnotwendigkeit weitgehend unbestritten war, wurden im politischen Prozess Detailfragen wie Reserven für Teuerung, die Dauer der Abschreibung, ein möglicher Beitrag des Lotteriefonds und der konkrete Nutzen fürs Toggenburg (!) kontrovers diskutiert. Der Rat entschied sich für eine Reduktion der Reserven und für die kurze Abschreibungsdauer.
Französischunterricht spaltet die Schule – St. Gallen will zurückrudern
Der frühe Französischunterricht ab der 5. Klasse steht seit Jahren in der Kritik: Statt Sprachkompetenzen zu stärken, belaste er die Kinder und gehe zulasten von Deutsch, Mathematik und Naturwissenschaften. Lehrbetriebe klagen über sinkende Basiskompetenzen. Nun will der Kantonsrat – gestützt von allen Fraktionen – handeln: Französisch soll erst auf der Oberstufe unterrichtet werden, damit Ressourcen für Kernfächer und Förderung frei werden. Die Umsetzung muss jedoch mit dem HarmoS-Konkordat vereinbar sein – ein politischer Balanceakt.
Befürworter warnen vor einem gefährlichen Signal: Französisch sei nicht irgendein Fach, sondern Teil des nationalen Zusammenhalts. Kantonsrat Bisig (GLP Rapperswil-Jona) hielt deshalb sein Votum teilweise auf Französisch – eine Geste, die für Staunen, aber auch Anerkennung sorgte.
Zwischendurch stand gar Englisch als Verlagerungskandidat im Raum – um der Landessprache den Vorrang vor der Weltsprache zu geben. Die Debatte zeigte: Es gibt kein Schwarz-Weiss. Lehrplan-Überforderung, fehlende Lehrkräfte und schwache Grundkompetenzen stehen pädagogischen Chancen und interkantonaler Verständigung gegenüber. Einig war man sich nur darin: Den gesellschaftlichen Zusammenhalt darf man nicht gefährden. Die Mehrheit entschied sich dennoch für die Verschiebung – und nun muss Bildungschefin Bettina Surber einen Weg finden, dies HarmoS-konform umzusetzen.
Selbstbedienungsläden ohne Personal: St. Gallen soll Rechtsunsicherheit beenden
Nach dem Nein zur Ausweitung der Ladenöffnungszeiten bleibt eine Lücke: Die Rechtslage für Selbstbedienungsläden ohne Personal ist unklar. Der «Hofladenartikel» sollte diese Praxis absichern, scheiterte jedoch an der Urne. Während die Regierung auf räumliche Abgeschlossenheit pocht, sehen die meisten Gemeinden einzig die Anwesenheit von Personal als entscheidend – im Toggenburg funktionieren solche Läden längst; in anderen Gemeinden wird diese Frage anders beurteilt und damit die Bewilligung nicht erteilt.
Die Folge: Rechtsunsicherheit und drohende Gerichtsverfahren. Eine Motion will das Gesetz nun präzisieren – ohne die Ladenöffnungszeiten neu aufzurollen. Doch Gewerkschaften sowie SP und Grüne reagieren reflexartig, sprechen von einem Angriff auf Personal und Arbeitszeiten und verkennen dabei, dass es ausschliesslich um Läden ohne Personal geht. Hier geht es nicht um längere Öffnungszeiten – sondern um gleiche Regeln für alle. Der Regierung war dieses Eisen zu heiss und empfahl deshalb, die Motion abzulehnen. Vergebens – die Mehrheit des Kantonsrats möchte gleichlange Spiesse in allen Gemeinden für Selbstbedienungsläden ohne Personal und verlangt eine Präzisierung des Gesetzes. Fortsetzung folgt …
Ergänzungsleistungen-Tagespauschale unter Druck: Wer trägt die Folgen?
Die Tagespauschale für Ergänzungsleistungen (EL) in St. Gallen wurde seit ihrer Einführung nie erhöht – trotz stark steigender Pflegeheimkosten. Eine Interpellation mehrerer Fraktionen wollte wissen, welche Folgen das für Betroffene, Gemeinden und Heime hat. Die Regierung begründet den Verzicht auf eine Anpassung mit der angespannten Finanzlage: Eine Erhöhung hätte Mehrkosten von rund 10 Mio. Franken verursacht, die fast vollständig vom Kanton zu tragen wären.
Kritisch ist, dass bereits 41 % der EL-Beziehenden Heimkosten über der Pauschale haben – mit steigender Tendenz. Damit droht immer mehr älteren Menschen der Weg in die Sozialhilfe. Die Regierung setzt auf flexible Tarife und auf den Ausbau der Betreuung zuhause, um Heime zu entlasten. Eine systematische Überprüfung der EL-Pauschale soll künftig alle drei Jahre erfolgen; eine mögliche Anpassung könnte frühestens 2027 in Kraft treten. Somit wird das Problem vertagt bzw. einmal mehr den Gemeinden übertragen.
Rekord bei Femiziden: St.Gallen verschärft Massnahmen
Auf eine dringliche Interpellation der SP-GRÜNE-GLP-Fraktion antwortet die St. Galler Regierung, dass sie dem Kampf gegen häusliche und sexuelle Gewalt künftig noch mehr Gewicht geben will. Grund sind steigende Fallzahlen und die Vorgaben der Istanbul-Konvention (= internationales Übereinkommen, Gewalt gegen Frauen und häusliche Gewalt zu verhindern und Betroffene zu schützen).
Geplant sind zusätzliche Mittel für Frauenhaus und Opferhilfe, der Aufbau einer zentralen Notrufnummer (142) ab 2026 sowie strengere Überwachung von Tätern mit Kontakt- oder Rayonverbot. Zudem soll bis Mitte 2026 ein kantonaler Aktionsplan entstehen, der alle Massnahmen bündelt. Spät – aber immerhin nimmt man dies jetzt ernsthaft an die Hand.
Die Schutzplätze im Frauenhaus wurden zwar erweitert, doch der Bedarf ist weiterhin gross. Umso wichtiger sind Prävention, Früherkennung und eine enge Zusammenarbeit von Polizei, Justiz und Opferhilfe. Hier braucht es klare Nachbesserungen – wir bleiben dran.
WilWest zum Letzten
Der Rat befasste sich ein letztes Mal mit WilWest – nun steht ein Ratsreferendum im Raum. Das Projekt wurde neu aufgesetzt, partizipativ erarbeitet und in zentralen Punkten substanziell verbessert. Obwohl der Entscheid in der Kompetenz des Kantonsrates liegt, will eine Mehrheit das Volk entscheiden lassen. Wir werden um das Entwicklungsprojekt WilWest weiter kämpfen müssen…
Hinweis zum separaten Kathi-Artikel: Bundesgericht stoppt Mädchenschulen – Kanton reagiert