Home Region Sport Magazin Schweiz/Ausland Agenda
Kanton SG
17.09.2025
17.09.2025 21:41 Uhr

Von Textil bis WilWest: Breite Debatten im St. Galler Rat

Bild: wil24.ch
Vom 15. bis 17. September 2025 trafen sich die Mitglieder des St.Galler Kantonsrats zur Herbstsession. Was beschäftigte Parlament und Regierung und was wurde an diesen drei Tagen entschieden? GLP-Kantonsrätin Franziska Cavelti Häller, Jonschwil, erläutert das Wichtigste aus ihrer Sicht.

17. September 2025
Vom 48-Millionen-Umbau des Textilmuseums über die Reform des Französischunterrichts bis hin zu Rechtsfragen bei Selbstbedienungsläden und WilWest: Der Kantonsrat hat in seiner Session gleich mehrere Weichenstellungen von Tragweite diskutiert – für Gesellschaft, Wirtschaft und das kulturelle Erbe. 

Umbau des Textilmuseums St. Gallen – Investition in das kulturelle Erbe
Das Textilmuseum St. Gallen, schweizweit einzigartig und seit über 140 Jahren zentral für die Bewahrung der 800-jährigen Textiltradition der Ostschweiz, steht vor einer umfassenden Sanierung. Für 48 Mio. Franken sollen ein grosser neuer Ausstellungssaal, moderne Vermittlungsformate, verbesserte Depot- und Konservierungsbedingungen sowie ein barrierefreier Zugang realisiert werden. Damit will man das textile Kulturerbe langfristig sichern, die Attraktivität des Hauses steigern und die internationale Sichtbarkeit erhöhen.
Die Finanzierung soll je zur Hälfte von privaten Geldgebern und der öffentlichen Hand getragen werden. Bislang sind 15,19 Mio. Franken aus der Privatwirtschaft zugesagt; Kanton und Stadt wollen 21,75 Mio. Franken beitragen. Während die Sanierungsnotwendigkeit weitgehend unbestritten war, wurden im politischen Prozess Detailfragen wie Reserven für Teuerung, die Dauer der Abschreibung, ein möglicher Beitrag des Lotteriefonds und der konkrete Nutzen fürs Toggenburg (!) kontrovers diskutiert. Der Rat entschied sich für eine Reduktion der Reserven und für die kurze Abschreibungsdauer.

Französischunterricht spaltet die Schule – St. Gallen will zurückrudern
Der frühe Französischunterricht ab der 5. Klasse steht seit Jahren in der Kritik: Statt Sprachkompetenzen zu stärken, belaste er die Kinder und gehe zulasten von Deutsch, Mathematik und Naturwissenschaften. Lehrbetriebe klagen über sinkende Basiskompetenzen. Nun will der Kantonsrat – gestützt von allen Fraktionen – handeln: Französisch soll erst auf der Oberstufe unterrichtet werden, damit Ressourcen für Kernfächer und Förderung frei werden. Die Umsetzung muss jedoch mit dem HarmoS-Konkordat vereinbar sein – ein politischer Balanceakt.
Befürworter warnen vor einem gefährlichen Signal: Französisch sei nicht irgendein Fach, sondern Teil des nationalen Zusammenhalts. Kantonsrat Bisig (GLP Rapperswil-Jona) hielt deshalb sein Votum teilweise auf Französisch – eine Geste, die für Staunen, aber auch Anerkennung sorgte.
Zwischendurch stand gar Englisch als Verlagerungskandidat im Raum – um der Landessprache den Vorrang vor der Weltsprache zu geben. Die Debatte zeigte: Es gibt kein Schwarz-Weiss. Lehrplan-Überforderung, fehlende Lehrkräfte und schwache Grundkompetenzen stehen pädagogischen Chancen und interkantonaler Verständigung gegenüber. Einig war man sich nur darin: Den gesellschaftlichen Zusammenhalt darf man nicht gefährden. Die Mehrheit entschied sich dennoch für die Verschiebung – und nun muss Bildungschefin Bettina Surber einen Weg finden, dies HarmoS-konform umzusetzen.

Selbstbedienungsläden ohne Personal: St. Gallen soll Rechtsunsicherheit beenden
Nach dem Nein zur Ausweitung der Ladenöffnungszeiten bleibt eine Lücke: Die Rechtslage für Selbstbedienungsläden ohne Personal ist unklar. Der «Hofladenartikel» sollte diese Praxis absichern, scheiterte jedoch an der Urne. Während die Regierung auf räumliche Abgeschlossenheit pocht, sehen die meisten Gemeinden einzig die Anwesenheit von Personal als entscheidend – im Toggenburg funktionieren solche Läden längst; in anderen Gemeinden wird diese Frage anders beurteilt und damit die Bewilligung nicht erteilt.
Die Folge: Rechtsunsicherheit und drohende Gerichtsverfahren. Eine Motion will das Gesetz nun präzisieren – ohne die Ladenöffnungszeiten neu aufzurollen. Doch Gewerkschaften sowie SP und Grüne reagieren reflexartig, sprechen von einem Angriff auf Personal und Arbeitszeiten und verkennen dabei, dass es ausschliesslich um Läden ohne Personal geht. Hier geht es nicht um längere Öffnungszeiten – sondern um gleiche Regeln für alle. Der Regierung war dieses Eisen zu heiss und empfahl deshalb, die Motion abzulehnen. Vergebens – die Mehrheit des Kantonsrats möchte gleichlange Spiesse in allen Gemeinden für Selbstbedienungsläden ohne Personal und verlangt eine Präzisierung des Gesetzes. Fortsetzung folgt …

Ergänzungsleistungen-Tagespauschale unter Druck: Wer trägt die Folgen?
Die Tagespauschale für Ergänzungsleistungen (EL) in St. Gallen wurde seit ihrer Einführung nie erhöht – trotz stark steigender Pflegeheimkosten. Eine Interpellation mehrerer Fraktionen wollte wissen, welche Folgen das für Betroffene, Gemeinden und Heime hat. Die Regierung begründet den Verzicht auf eine Anpassung mit der angespannten Finanzlage: Eine Erhöhung hätte Mehrkosten von rund 10 Mio. Franken verursacht, die fast vollständig vom Kanton zu tragen wären.
Kritisch ist, dass bereits 41 % der EL-Beziehenden Heimkosten über der Pauschale haben – mit steigender Tendenz. Damit droht immer mehr älteren Menschen der Weg in die Sozialhilfe. Die Regierung setzt auf flexible Tarife und auf den Ausbau der Betreuung zuhause, um Heime zu entlasten. Eine systematische Überprüfung der EL-Pauschale soll künftig alle drei Jahre erfolgen; eine mögliche Anpassung könnte frühestens 2027 in Kraft treten. Somit wird das Problem vertagt bzw. einmal mehr den Gemeinden übertragen.

Rekord bei Femiziden: St.Gallen verschärft Massnahmen
Auf eine dringliche Interpellation der SP-GRÜNE-GLP-Fraktion antwortet die St. Galler Regierung, dass sie dem Kampf gegen häusliche und sexuelle Gewalt künftig noch mehr Gewicht geben will. Grund sind steigende Fallzahlen und die Vorgaben der Istanbul-Konvention (= internationales Übereinkommen, Gewalt gegen Frauen und häusliche Gewalt zu verhindern und Betroffene zu schützen).
Geplant sind zusätzliche Mittel für Frauenhaus und Opferhilfe, der Aufbau einer zentralen Notrufnummer (142) ab 2026 sowie strengere Überwachung von Tätern mit Kontakt- oder Rayonverbot. Zudem soll bis Mitte 2026 ein kantonaler Aktionsplan entstehen, der alle Massnahmen bündelt. Spät – aber immerhin nimmt man dies jetzt ernsthaft an die Hand.
Die Schutzplätze im Frauenhaus wurden zwar erweitert, doch der Bedarf ist weiterhin gross. Umso wichtiger sind Prävention, Früherkennung und eine enge Zusammenarbeit von Polizei, Justiz und Opferhilfe. Hier braucht es klare Nachbesserungen – wir bleiben dran.

WilWest zum Letzten
Der Rat befasste sich ein letztes Mal mit WilWest – nun steht ein Ratsreferendum im Raum. Das Projekt wurde neu aufgesetzt, partizipativ erarbeitet und in zentralen Punkten substanziell verbessert. Obwohl der Entscheid in der Kompetenz des Kantonsrates liegt, will eine Mehrheit das Volk entscheiden lassen. Wir werden um das Entwicklungsprojekt WilWest weiter kämpfen müssen…

Hinweis zum separaten Kathi-Artikel: Bundesgericht stoppt Mädchenschulen – Kanton reagiert

St.Galler Politik: Drei Themen, ein Ziel – Zukunft sichern

16. September 2025
Energie, Bildung, Familie – gleich drei gewichtige Themen prägten die Session des St.Galler Kantonsrats. Während ein Bericht zur Wasserkraft bestätigt, dass die Reserven weitgehend ausgeschöpft sind, sorgt eine Studie zu den Volksschul-Kompetenzen für kontroverse Debatten über Leistungsstandards, Lehrermangel und Reformdruck. Gleichzeitig wird die Kinderbetreuungsförderung modernisiert – mit mehr Geld, weniger Bürokratie, aber heissen Diskussionen um Mindestpensen.

Wasserkraft im Kanton St.Gallen: Potenzial fast ausgeschöpft
Der Kantonsrat verlangte 2022 einen Bericht über zusätzliche Möglichkeiten zur Stromproduktion aus Wasserkraft. Die Regierung kommt nun zum Schluss: Das Potenzial ist begrenzt. Neue Ausleitkraftwerke könnten rund 20 GWh pro Jahr liefern, Optimierungen bestehender Anlagen weitere 12 GWh, Trinkwasserkraftwerke etwa 2 GWh – insgesamt genug für 6'500 bis 9'000 Haushalte. Damit sind die Reserven weitgehend genutzt. Deutlich grösser sind die unerschlossenen Möglichkeiten bei Solarenergie (4'300 GWh) und Windkraft (300 GWh bis 2050). Die Kommission bemängelt die hohen Kosten des Berichts – zumal von Beginn an klar war, dass das zusätzliche Potenzial für Wasserkraft im Kanton gering ist. SVP, FDP und Mitte-EVP hatten den Bericht verlangt, um ein Wasserkraftprojekt am Ellhorn voranzutreiben. Sie kritisieren ökologische Auflagen und den Gewässerschutz und wollen unsere Flüsse weiter verbauen. Noch schützt das Bundesrecht die Gewässer – und wir als GLP setzen alles daran, dass das so bleibt. Die Energiezukunft liegt in der Sonne und punktuell in der Windkraft, ergänzt durch die bereits gut ausgebaute Wasserkraft. Trotzdem hat die Regierung ein Gutachten in Auftrag gegeben, um zu prüfen, wie das Ellhorn doch noch für die Stromproduktion genutzt werden könnte. Damit drohen weitere Steuergelder zu versickern – obwohl längst klar ist, dass das Ellhorn kein geeigneter Standort ist. Sinnvoller wäre es, die Kräfte auf jene 18 Wasserkraftwerke zu konzentrieren, die das Schweizer Stimmvolk mit der Annahme des Stromgesetzes bereits festgelegt hat.

St.Galler Volksschüler bestehen Kompetenz-Check – wirklich?
Eine Studie der PH St.Gallen zeigt: Die Grundkompetenzen in Deutsch und Mathematik sind seit 20 Jahren stabil und liegen im Schweizer Durchschnitt. Der Übertritt in Mittelschulen und Berufsfachschulen gelingt mehrheitlich. Doch die Wahrnehmung klafft auseinander: Während Tests konstante Leistungen belegen, beurteilen Lehrpersonen und Ausbildende die Fähigkeiten kritischer. Ein Grund könnte sein, dass geburtenschwache Jahrgänge auch Jugendlichen mit mittelmässigen Noten den Zugang zu anspruchsvollen Lehrstellen ermöglichen. Zudem sieht die Mitte-Partei in der «Reformitis» eine Schwächung der Volksschule.
Klar ist: Die Anforderungen an Jugendliche sind gestiegen. Heute zählen Resilienz, Teamgeist und Lösungsorientierung – Kompetenzen, die selbst Erwachsene fordern. Gleichzeitig bleibt die Integrationsleistung der Volksschule unbestritten. Berufsfachschulen sollen Defizite gezielter abfedern. Immer deutlicher zeigt sich aber, dass die Schule Prioritäten setzen muss: Lesen, Schreiben und Rechnen gehören ins Zentrum. Frühfranzösisch gilt als wenig wirksam, eine Motion zur Verschiebung auf die Oberstufe liegt auf dem Tisch. Zugleich rücken soziale Faktoren in den Fokus: Jungen drohen abgehängt zu werden, der Bildungserfolg hängt stark vom Elternhaus ab. Frühförderung gilt deshalb als Schlüssel für mehr Chancengerechtigkeit.

Auch der Lehrpersonenmangel beschäftigte den Rat. Ursachen sind Pensionierungen, viele Teilzeitpensen sowie die steigende Belastung durch heterogene Klassen und individualisierten Unterricht. Vorgeschlagen werden administrative Entlastung, flexiblere Anstellungen, mehr Ausbildungsplätze – auch für Quereinsteigende –, gezielte Nachwuchsförderung, Unterstützung für Junglehrpersonen, die Anerkennung ausländischer Diplome und stärkere Schulleitungen. Einfache Lösungen gibt es nicht: Nötig sind viele kleine Schritte. Eine erste Massnahme ist die zweite Entlastungslektion für Klassenlehrpersonen. Spätestens mit der Revision des Volksschulgesetzes wird das Thema wieder auf die Traktandenliste kommen.

Mehr Geld, weniger Bürokratie: St. Gallen reformiert Kinderbetreuungsförderung
Seit Anfang 2024 unterstützt der Kanton St. Gallen die Gemeinden mit jährlich 10 Millionen Franken für familien- und schulergänzende Kinderbetreuung. Mit der Totalrevision wird nun ein einheitliches, einkommensabhängiges Vergünstigungssystem eingeführt: Eltern beantragen Zuschüsse über eine kantonale Plattform, die Beiträge werden direkt auf die Betreuungskosten angerechnet.
Ziel ist es, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu stärken, Abläufe zu vereinfachen und Anreize für hohe Erwerbspensen zu schaffen. Breite Unterstützung erhielt die Vorlage von fast allen Parteien und Gemeinden – nur die SVP lehnte sie ab, aus Sorge um Kosten, Bürokratie und das traditionelle Familienmodell.
Am meisten Streit löste die Frage nach den Mindestpensen aus: Sollen alle Eltern Anspruch haben oder nur jene mit hohen Arbeitspensen? Der Kantonsrat entschied sich schliesslich für die Variante der Regierung: 120 Prozent bei Paaren, 20 Prozent bei Alleinerziehenden – ein klassischer Schweizer Kompromiss. Weitere Anträge der SVP, welche die Vorlage für Eltern substantiell verschlechtert hätten, wurden klar abgelehnt. Damit konnte ein wichtiger Schritt gemacht werden, um die Vereinbarkeit von Beruf und Familie zu stärken. Ein echter Mehrwert für den Kanton.

Mit diesem Geschäft beendete Präsident Walter Freund den zweiten Sessionstag vorzeitig – die Fraktionen starteten zu ihrem traditionellen Ausflug. Unsere Fraktion aus SP, Grünen und GLP besuchte den Walter Zoo in Gossau und erhielt spannende Einblicke, wie sich Artenschutz, Biodiversität und Unternehmertum verbinden lassen. Ein Besuch ganz im Sinne der Grünliberalen: Wirtschaft und Umweltschutz im Einklang.

Franziska Cavelti Häller, Kantonsrätin SG, GLP