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Kultur
12.12.2025

Dämonen, Chläuse und Krawall: Weihnachten im historischen Wil

Bild: Adrian Zeller
Die geschmückten Adventsfenster sowie die Lichter am Pankratiusbrunnen und auf dem Hofplatz verbreiten eine feierliche Stimmung in der Altstadt. Im alten Wil herrschte um die Zeit von Christi Geburt nicht immer nur Besinnlichkeit.

Gemäss der Historikerin Dr. Magdalen Bless-Grabher bestimmte im 4. Jahrhundert die katholische Kirche den 25. Dezember als Tag von Christi Geburt; das wirkliche Datum kannte man nicht. «Der 25.Dezember wurde bewusst gewählt, um die grossen heidnischen Sonnenwendfeiern, die an diesem Tag begangen wurden zu verdrängen bzw. um ihnen einen neuen, christlichen Inhalt zu geben», notierte die Kennerin der Wiler Geschichte.

Heidnische Figuren

Die Zeit um Weihnachten war in Wil eine Phase, in der sich christliche und heidnische Bräuche vermengten. Start ist der 6. Dezember, der Nikolaustag. Wo der Mann im Bischofskleid unterwegs ist, ist in der Regel sein dunkler Begleiter nicht weit. Je nach Region wird er als «Schmutzli», «Knecht Rupprecht» oder auch als «Krampus» bezeichnet. An den beiden Figuren wird deutlich, dass der Nikolausbrauch auch von vorchristlichen Wurzeln genährt wird.

Bild: Adrian Zeller

Nordischer Gott

An vielen Orten vermischt sich das Erscheinungsbild des Nikolaus mit dem des Weihnachtsmannes. Speziell in Skandinavien ist diese Mischgestalt oft vom Nordpol oder von Lappland kommend mit einem Rentierschlitten unterwegs. In ihm sind der nordische Gott Thor und der Bischof von Myra zu einer Figur verschmolzen. Die Coca-Cola-Werbung hat den gütigen Mann mit dem üppigen weissen Bart weltweit, auch in nicht christlich geprägten Regionen, bekannt gemacht. Mit seinem Gefährt vermag der Weihnachtsmann durch Kamine zu fahren und den Kindern Geschenke zu bringen.

Sühne mit Menschenopfer

Der Schmutzli seinerseits basiert auf alten Dämonenglauben. In den langen dunklen Winternächten sollen gemäss vorchristlichem Glauben Verstorbene unterwegs gewesen sein, die sich Menschenopfer holten, um damit die Welt zu entsühnen, so dass wieder Segen einkehren kann, schreibt Bless-Grabherr in einem Vortragsmanuskript.

Daher wird der Begleiter des Nikolaus oft mit einem Sack dargestellt. Lange gaben Erwachsene Kindern an, der Schmutzli nehme unartige Mädchen und Buben in einem Sack mit. Zum Teil verkleideten sich Menschen als furchterregende Figuren, um diese Totendämonen zu vertreiben. In Urnäsch wird dieser Brauch am alten Silvester noch immer gepflegt.

Bild: Adrian Zeller

Wildes Bubentreiben

Auch in der Äbtestadt waren in vergangenen Jahrhunderten finstere Gestalten unterwegs. Es gilt zu bedenken, dass es im alten Wil in der Nacht kaum beleuchtete Gassen gab, die Stimmung war unheimlich. Die Ruhestörer waren verkleidete Buben und Burschen, die in den Nächten vor dem Nikolaustag lärmend umherzogen. Dabei verwendeten sie auch Schellen, in der Innerschweiz hat sich dieser Brauch bis heute erhalten. Auch er hat seine Ursprünge in der Vertreibung von Unheil bringenden Dämonen. In Wil überbordete das Chlaus-Treiben der gelegentlich so sehr, dass sich die Obrigkeit beschwerte. Laut Wiler Ratsprotokoll von 1510 wurden «viele junge Gesellen» von der damaligen Stadtregierung gerügt. Sie hatten Karren in die Brunnen geworfen, Fässer in den Weg stellt und mit Seilen die Strassen versperrten. Diese Streiche verübten sie nicht nur um den Nikolaustag, sondern auch in der Silvesternacht.

Apropos Behörden: 1581 wurden 18 Männer gebüsst, weil sie am Weihnachtsmorgen in einem Wiler Wirtshaus die «Morgensuppe» eingenommen hatten, damit war ein Frühschoppen mit Wein oder Schnaps gemeint, der gemäss Sittenmandat verboten war. 

Furchterregende Ahnen 

Historikerin Bless-Grabher vermutet hinter dem oben erwähnten Schabernack der Wiler Burschen mehr als jugendlicher Übermut: «Möglicherweise stand hinter solchem Unfug ursprünglich eine Nachahmung oder Abwehr der wilden Totendämonen.» In den Nächten zwischen Weihnachten und Dreikönig waren laut Bless-Grabher nach altem Glauben die Geister der Toten unterwegs, angeführt vom germanischen Gott Wotan, der als Totengott gilt; sie sind auch als Raunächte bekannt.   

Mit Klopfen an Fensterläden, Schellen schwingen und Geschirr zerschlagen und anderem nächtlichem Lärm sollten gemäss Bless-Grabher einerseits die Dämonen in die Flucht geschlagen, andererseits die im Winterschlaf erstarrte Vegetation aufgeweckt werden.

Bild: Adrian Zeller

Bettelnde Kinder

 Am Übergang ins neue Jahr gab es in früheren Jahrhunderten in Wil verschiedene Aktivitäten. Der Wiler Chronist Karl Ehrat erwähnt etwa für das Jahr 1739 vier Musiker, die mit ihren Instrumenten in der Stadt aufspielten. Ebenfalls historisch belegt ist das Neujahrssingen von Wiler Kindern: Beim sogenannte «Gutjahrssingen» zogen laut der Historikerin Bless-Grabher am Silvesterabend vor allem ärmere Kinder in Wil von Haus zu Haus. Sie sangen einen Segenswunsch für Neue Jahr und bettelten zugleich um eine Gabe.

 Die Obrigkeit hatte an diesem Brauch keine Freude. Laut den Sittenmandaten aus dem 17. Jahrhundert verboten die Behörden dieses Betteln immer wieder oder schränkten es zumindest ein: Gemäss einer amtlichen Anordnung von 1664 sollten etwa nur noch Kinder unter sieben Jahren bei Gotte und Götti und weiteren Verwandten maximal kleine Geldbeträge sowie ein zopfartiges Gebäck abholen.      

Ein Grund für die behördlichen Einschränkungen könnten die Ursprünge dieser Betteltouren sein. Bless-Grabher stellt eine Verbindung zu volkskundlich bekannten sogenannten Heischbräuchen fest, in der Totendämonen nach vorchristlichem Glauben Opfergaben forderten. Dieses Betteln und auch Stibitzen ist aus weiteren alten Wiler Bräuchen – etwa zur Fastnachtszeit – bekannt. Die Ratsherren verboten diese Sammeltouren der Kinder immer wieder, mit mässigem Erfolg.  

 

Bild: Adrian Zeller

Silvesterumzug mit heidnischen Wurzeln 

Magdalen Bless-Grabher sieht auch die Ursprünge des heutigen Wiler Latenenumzugs an Silvester in archaischen Bräuchen. Erstmals ist dieser feuerpolizeiliche Kontrollgang in einem Ratsprotokoll von 1818 erwähnt. Mutmasslich bestand er aber bereits früher.

Nicht nur mit Radau wollten man in alten Riten die schädlichen Dämonen bannen, auch Licht und Feuer sollten sie vertreiben. Die Funken haben ihrerseits eine Verbindung zur Wintersonnenwende um Weihnachten. «Später sind die altheidnischen Lichtbräuche in die christlichen Weihnachtsbräuche eingeflossen, aus denen ja die Kerzen nicht mehr wegzudenken sind», schreibt Bless-Gabher und schlägt eine Brücke zum Laternenumzug: «Wer weiss, vielleicht sind ursprünglich auch in Wil die Laternen an Silvester zur Abwehr der Dämonen angezündet worden.» Die Kennerin der äbtestädtischen Geschichte fügt an: «Möglicherweise gab man dem Brauch erst, als man seinen ursprünglichen Sinn nicht mehr verstand, eine neue Bedeutung mit der Visitation.»

Adrian Zeller
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